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Verwaltungsgerichtliche Überprüfung von technisch geprägten Behördenentscheidungen im Umweltrecht

Jürgen Weißmann, Richter am Verwaltungsgericht Potsdam

Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. So klar steht es in der deutschen Verfassung(1). Gleichwohl unterliegt die verwaltungsgerichtliche Überprüfung von technisch geprägten Behördenentscheidungen gewissen Einschränkungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Ein Einfallstor für Einschränkungen können unbestimmte Rechtsbegriffe wie die sogenannten Technikklauseln sein, von denen der Gesetzgeber im Umweltrecht häufig Gebrauch macht. Bei den Technikklauseln handelt es sich um drei verschiedene Formulierungen des Gesetzgebers: 1. den Regeln der Technik, 2. dem Stand der Technik und 3. dem Stand der Wissenschaft. Nach einer sogenannten Dreistufentheorie(2) sind die drei Technikklauseln nicht inhaltsgleich. Zur Einhaltung der Regeln der Technik sind geringere Anforderungen zu erfüllen, als zur Einhaltung des Standes der Technik, welcher selbst hinter den höchsten Ansprüchen des Standes der Wissenschaft zurückbleibt. Der Gesetzgeber trägt mit den unterschiedlichen Klauseln unterschiedlich hohen Gefahrenpotentialen Rechnung. Im Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts(3) spricht der Gesetzgeber deshalb nur von den allgemein anerkannten Regeln der Technik, im Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge(4) , dem Bundesimmissionsschutzgesetz, bereits von dem Stand der Technik und im Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren(5) , dem Atomgesetz, schließlich von dem Stand von Wissenschaft und Technik und normiert damit die höchsten Anforderungen. Trotz dieser Einordnung der Technikklauseln in eine formale Hierarchie bleiben die Technikklauseln schwer oder gar nicht bestimmbar. Es sind sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Besonderheit darin besteht, daß sie stillschweigend auf außerrechtliche sogenannte technische Normen, technische Empfehlungen und technische Anleitungen verweisen(6). Soweit es sich dabei um solche Regelwerke handelt, die von privaten Vereinen oder anderen Stellen, die keinen öffentlich-rechtlichen Status besitzen, verfasst sind, findet durch diese Regelwerke keine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung statt. Unter solche privaten Regelwerke, an die das Gericht nicht gebunden ist,  fallen rund zweihundert(6) als Normen, Empfehlungen, Anleitungen und Richtlinien bezeichnete Werke, die beispielsweise das Deutsche Institut für Normung (DIN), der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), der Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE), der Technische Überwachungsverein (TÜV) oder die Deutsche Naturstein Akademie (DENAK)(7) erlassen haben. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg(8)  hat 1998 zu einer Richtlinie, die der Verein Deutscher Ingenieure zum Zwecke der Emissionsminderung bei der Haltung von Hühner aufgestellt hat, ausgeführt, dass die Richtlinie zwar nicht schon Kraft ihrer Existenz die Qualität von anerkannten Regeln der Technik besitze und auch keine Bindungskraft für die Verwaltung oder die Gerichte entfalte, jedoch eine brauchbare Entscheidungshilfe für die Beurteilung luftverunreinigender Stoffe aus der Hühnerhaltung darstelle. Im Jahre 2007 hat das Bundesverwaltungsgericht(9) ausgeführt, dass eine Richtlinie des gleichen Vereins zum Zwecke der Emissionsminderung bei der Haltung von Schweinen ein bloßes Regelwerk sei und keine Rechtsquelle darstelle. Vielmehr enthalte die Richtlinie technische Normen, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen beruhten und insoweit die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten generellen Sachverständigengutachten hätten. Ihre Auslegung sei als solche keine Rechtsanwendung, sondern Tatsachenfeststellung. Nach dieser Rechtsprechung bleibt die Letztentscheidungsmacht in der Hand des Gerichts, weil das jeweils einschlägige technische Regelwerk des Privaten widerlegt werden kann, beispielsweise durch ein von dem Gericht eingeholtes Gutachten. Da zudem Beweisanträge  substantiiert(10) sein müssen, verpflichtet die schlichte Behauptung, ein bestimmtes privates Regelwerk sei falsch, das Gericht nicht, ein Gutachten hierüber einzuholen. Somit dient das private Regelwerk dem Richter insoweit als Hilfe, als es ihn in einer Vielzahl von Fällen von der Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen entbinden kann. Ebenfalls ohne Bindungswirkung für den Verwaltungsrichter sind lediglich beratende oder empfehlende Entscheidungen von Gremien, beispielsweise die Empfehlungen, die die bei dem Bundesumweltministerium gebildeten Kommissionen für Reaktorsicherheit und für Strahlenschutz geben. Die Satzungen der Strahlenschutz- und der Reaktor-Sicherheitskommissionen verdeutlichen dies. Dort(11) heißt es jeweils, dass die Kommission als Ergebnis ihrer Beratungen naturwissenschaftliche und technische Empfehlungen oder Stellungnahmen an das Bundesministerium beschließt und keine rechtlichen Bewertungen trifft. Neben den technischen Regelwerken Privater und bloß beratenden bzw. empfehlenden Entscheidungen bei der Verwaltung angesiedelter Gremien gibt es Regelwerke der Behörden selbst, sogenannte Verwaltungsvorschriften. Das sind abstrakt-generelle Regelungen, die von übergeordneten Instanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete innerhalb der Verwaltung erlassen worden sind, um einen gleichmäßigen Gesetzesvollzug in eine bestimmte Richtung sicherzustellen. Man kann drei Arten von Verwaltungsvorschriften unterscheiden: 1. ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften, 2. norminterpretierende einfache Verwaltungsvorschriften und 3. normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften sind behördeninterne Anweisungen von übergeordneten Personen oder Stellen über die Fragen, ob und wie ein Entscheidungsspielraum eines Gesetzes in bestimmten Fällen auszuüben ist. Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften sind solche, die – ebenfalls behördenintern – dem Sachbearbeiter vorgeben, wie ein bestimmter Gesetzestext auszulegen ist. Während sich also ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften auf die Rechtsfolgen von solchen Gesetzen beziehen, die den Behörden Ermessen eröffnen, beziehen sich die norminterpretierende und normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften auf Tatbestandsmerkmale, also die Voraussetzungen der Gesetze. Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften unterscheiden sich von nominterpretierenden Verwaltungsvorschriften dadurch, dass normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften ein besonderes Aufstellungsverfahren mit vielen Beteiligten aus unterschiedlichen Lagern durchlaufen, von dem noch die Rede sein wird. Die Verwaltungsvorschriften der ersten beiden Kategorien, also ermessenslenkende und norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, entfalten grundsätzlich nur Bindungswirkung innerhalb der Verwaltung, während die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen anders als private Regelwerke grundsätzlich nicht durch Gerichtsgutachten widerlegt werden können und für das Gericht verbindlich sind. Hauptbeispiele im Umweltrecht sind die als Verwaltungsvorschriften auf Bundesebene erlassenen Technischen Anleitungen Luft und Lärm, kurz TA Luft und TA Lärm genannt. Kritiker halten normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften mit derartiger Wirkung unter einem verfassungsrechtlichen Blickwinkel für problematisch, weil das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip verlangten, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst (in Gesetzesform) treffe. Die Verwaltung habe nur eine abgeleitete, schwache demokratische Legitimation und dürfe deswegen nicht mit zu viel Entscheidungsgewalt ausgestattet sein.(12) Dennoch werden heute die als Verwaltungsvorschriften ergangenen Technischen Anleitungen, in denen gesetzliche Standards im Bereich des Umweltrechts konkretisiert werden, faktisch ähnlich wie Gesetze angewendet. Als ich mit dem Studium der Rechte begonnen hatte, das war vor fast 30 Jahren, hatte man die Dinge noch etwas anders gesehen. Damals war das Bundesverwaltungsgericht(13) noch davon ausgegangen, dass es sich bei den als Verwaltungsvorschriften erlassenen Technischen Anleitungen lediglich um sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten handeln würde, welche – durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht – widerlegbar seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Auffassung zunächst für das Atomrecht(14) und später im Bereich des Immissionsschutzrechts(15) aufgegeben. Die Technischen Anleitungen seien nicht nur norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, die auf einen gleichmäßigen Gesetzesvollzug gerichtet seien, sondern enthielten darüber hinaus generalisierende tatsächliche Feststellungen und Wertungen. Die Grenzwerte in den Technischen Anleitungen drückten nicht nur technisches Fachwissen aus, sondern zugleich einen politischen Kompromiss zwischen Staat, Wissenschaft und Wirtschaft. Dieser Kompromiss wird unter Mitwirkung der beteiligten Kreise gefunden. Diese sind im Immissionsschutzrecht beispielsweise Vertreter der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Wirtschaft, des beteiligten Verkehrswesens und der für den Immissionsschutz zuständigen obersten Landesbehörden.(16) Durch dieses besondere Aufstellungsverfahren soll eine gewisse Gewähr dafür entstehen, daß ihr Inhalt richtig ist. In einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg(18) aus dem Jahre 2011 liest sich die Heranziehung einer normkonkretisierenden Technischen Anleitung so: „Als Verwaltungsvorschrift, die zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes …(17) nach Anhörung der beteiligten Kreise erlassen wurde, enthält die TA Luft nicht nur grundsätzlich verbindliche Regelungen, Festlegungen und Vorgaben für die mit Genehmigungen befassten Verwaltungsbehörden (vgl. Nr. 1 Satz 3 TA Luft), sondern konkretisiert auch unbestimmte Rechtsbegriffe des Gesetzes durch generelle, dem gleichmäßigen und berechenbaren Gesetzesvollzug dienende Standards, die entsprechend der Art ihres Zustandekommens in hohem Maße wissenschaftlich-technischen Sachverstand und allgemeine Folgenbewertungen verkörpern. Die TA Luft ist mit dieser Funktion auch im gerichtlichen Verfahren beachtlich.“ Bevor eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift im gerichtlichen Verfahren beachtlich ist, muß sie sechs Voraussetzungen(19, 20) erfüllen:
  1. Es muß eine gesetzliche Ermächtigung für die Verwaltungsvorschrift vorliegen.
  2. Die Verwaltung selbst muß in eigener Verantwortung die sachverständigen Aussagen kompetenter Experten bestätigen oder gegebenenfalls modifizieren.
  3. Die festgelegten Standards müssen willkürfrei ermittelt worden sein und dabei alle wissenschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse berücksichtigen.
  4. Ihr Inhalt darf weder veraltet, widerlegt noch wissenschaftlich erschüttert sein.
  5. Es muß eine verfahrensmäßige Richtigkeitsgewähr aufgrund einer vorausgegangenen pluralistischen Anhörung der beteiligten Kreise gegeben sein.
  6. Die Verwaltungsvorschrift muß – einem Gesetz ähnlich – veröffentlicht werden.
Eine derartige gerichtliche Prüfung einer Behördenentscheidung auf der Grundlage der TA Luft  nach dem soeben erwähnten Punkt 4 hinsichtlich der Frage der Sinkgeschwindigkeit von gasförmigem Quecksilber liest sich in dem bereits erwähnten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs(18) so: „Da normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften an die bei ihrem Erlass bestehenden Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik anknüpfen, verlieren sie ihre rechtliche Außenwirkung, soweit die ihnen zugrundeliegenden Annahmen durch weitere gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind und sie damit den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Dies gehört zu den von den Gerichten zu prüfenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Nach diesem Maßstab ist eine Abweichung von den Vorgaben der TA Luft nur zulässig, wenn gesicherte Erkenntnisse vorliegen, dass die in der novellierten TA Luft 2002 nach wie vor zugrundegelegte Sinkgeschwindigkeit von gasförmigem Quecksilber nach dem Stand der Wissenschaft überholt ist. Dies ist vorliegend nicht ausreichend dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich.“ Eine weitere interessante Frage im Zusammenhang mit normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, die prinzipiell wie Gesetze binden, stellt sich bei ihrer Auslegung. Nach dem Bundesverwaltungsgericht mögen sie zwar prinzipiell wie Gesetze binden, exakt wie Gesetze auszulegen seien sie indes nicht. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht(22) ausgeführt, daß die Entstehungsgeschichte einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift eine besondere Bedeutung habe. Zeitnahe, im Verfahren hervorgetretene Willensbekundungen des Vorschriftengebers haben danach bei der Auslegung im Zweifel mehr Gewicht als dies bei Rechtsnormen der Fall ist. Anders als gegen die Regelwerke Privater und die bloßen Empfehlungen bei Behörden angesiedelter Gremien, die nicht als Verwaltungsakte oder Gesetze anzusehen sind, ist gegen eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift prinzipiell unmittelbar Rechtsschutz gegeben, ohne daß erst eine Behördenentscheidung abgewartet werden müßte, die sich auf die Verwaltungsvorschrift stützt. Im Jahr 2004 hat das Bundesverwaltungsgericht(20) über eine normkonkretisierende, namentliche eine anspruchskonkretisierende Verwaltungsvorschrift im Sozialrecht entschieden und ausgeführt, daß zu den im Rang unter dem Landesrecht stehenden Rechtsvorschriften nicht nur Satzungen und Rechtsverordnungen sondern auch solche Regelungen der Exekutive gehörten, die rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalteten und auf diese Weise dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berührten. Danach handelt es sich bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften grundsätzlich um statthafte Gegenstände eines Normenkontrollverfahrens(21). Allerdings sind die wichtigsten normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften des Umweltrechts, die TA Luft und die TA Lärm, als untergesetzliches Bundesrecht zu qualifizieren, welches der Normenkontrolle prinzipiell nicht unterliegt. Soweit eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift auf Landesebene erlassen wurde, ist zu beachten, daß nicht alle Bundesländer eine prinzipale Normenkontrolle eingerichtet haben. Wie sich die normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift TA Lärm in meiner gerichtlichen Praxis bei Windenergieanlagen ausgewirkt hat, will ich an einem Fall verdeutlichen. Bauherr B erhält eine Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage. Dagegen klagt der Nachbar, weil die Anlage Nachts zu laut sei. Bei der Erteilung der Genehmigung ist die Behörde davon ausgegangen, daß der Nachbar in einem sogenannten Dorfgebiet wohnt. Wir Richter hatten bei dieser Klage unter anderem zu prüfen, ob die Immissionen der Windenergieanlage geeignet sind, für den Nachbarn, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen im Sinne einer bestimmten Vorschrift des Bundesimmissionsschutzgesetzes(23) herbeizuführen. Die in dieser Vorschrift genannten Tatbestandsmerkmale sind allesamt unbestimmte Rechtsbegriffe, die grundsätzlich vollständig gerichtlich überprüfbar sind. Allerdings gibt es die hier einschlägigen Technischen Anleitungen Lärm, welche die Normen des Bundesimmissionsschutzgesetzes(23) konkretisieren. Bei welchem Lärmpegel die zumutbare Lärmgrenze überschritten ist und die Anlage also Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen hervorzurufen geeignet ist, beantwortet allein ein Rückgriff auf die TA Lärm. Die in dieser Verwaltungsvorschrift getroffene Festlegung zur Schutzbedürftigkeit einzelner Gebietstypen – hier Dorfgebiet –  zu bestimmten Tageszeiten sind abschließend, so daß für eine Betrachtung des Einzelfalls in dem in der TA Lärm geregelten Bereich kein Raum mehr ist. Für uns Richter bedeutete dies, daß wir ein Gutachten zu der Frage, welcher Lärm dem Nachbarn  zumutbar ist, nicht anfertigen lassen konnten, sondern diesen Wert aus der TA Lärm entnehmen mußten.(24) Uns verblieben neben den oben genannten sechs Prüfungspunkten zu den Voraussetzungen der Verbindlichkeit der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften lediglich Beweiserhebungsmöglichkeiten zu den Vorfragen, ob das Gebiet beispielsweise den von der Behörde angenommenen Gebietscharakter eines Dorfgebiets hat oder ob ein anderes Gebiet mit einer für den Nachbarn günstigeren Lärmgrenze, z. B. ein reines Wohngebiet, vorliegt durch Anberaumung eines Ortstermins sowie die Möglichkeit der Beweiserhebung zu der Frage, ob die Anlage den sich aus der TA Lärm ergebenden Wert am Immissionsort einhalten kann, durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Soweit die Bindung eines Regelwerks auch geht, stets muß von der Bindungswirkung unterschieden und beachtet werden, daß Regelwerke keine – und das gilt auch für die normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften – abschließenden Maßstäbe über die Vertretbarkeit eines Risikos enthalten und derartige Risikomaßstäbe auch gar nicht enthalten können. Sie können allenfalls genaue Erkenntnisse über die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Ausmaß möglicher Schäden liefern. Die Regelwerke stellen zwar – wie bereits dargestellt – wichtige Hilfsmittel zur Erlangung judikativer Erkenntnisse mit unterschiedlicher Bindungswirkung für den Richter dar, die wertende Entscheidung über die Risikogrenze können sie indes weder ersetzen noch festlegen. Diese Entscheidung kann nur anlagebezogen und situationsbedingt ergehen und der zuständigen Behörde nicht abgenommen werden.(25)  Im Atomrecht gilt deshalb zu Gunsten der Genehmigungsbehörde ein sogenannter Funktionsvorbehalt, mit dem zum Ausdruck gebracht wird, daß die Genehmigungsbehörde für die Risikoermittlung und die Risikobewertung allein verantwortlich ist. Dies betrifft vor allem den Inhalt der Risikoabschätzung, der letztlich nur politisch verantwortet werden kann.(26) Der Funktionsvorbehalt diene ferner einem dynamischen Grundrechtsschutz und rechtfertige sich auch daraus, dass im Atomrecht die erforderliche Schadensvorsorge aus dem in die Zukunft hinein offenen Maßstab des Standes von Wissenschaft und Technik zu messen sei. Die Gerichte sind(27) darauf beschränkt, zu überprüfen, ob die von der Behörde ihren Bewertungen zugrundegelegten Ermittlungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ausreichend und ob die Bewertungen hinreichend vorsichtig sind, wobei dem Gericht hinsichtlich des letzten Prüfungspunktes lediglich eine Willkürkontrolle möglich sei. Gegenstand der Aufklärungsbemühungen der Verwaltungsgerichte hat demnach in erster Linie die Frage zu sein, ob die Behörde die Datenbasis, auf deren Grundlage sie entschieden hat, als ausreichend ansehen durfte. Eine Beweiserhebung ist veranlasst, wenn sich aus dem Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten herleiten läßt, dass die der angefochtenen Genehmigung zugrundeliegenden Annahmen und Bewertungen im Hinblick auf den Stand von Wissenschaft und Technik widerlegbar erscheinen. Der Funktionsvorbehalt hat dabei keine Beweislastumkehr in dem Sinne zur Folge, daß die Kläger nachweisen müßten, die behördlichen Annahmen entsprächen nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. Die den Gerichten verbleibende Kontrolle muß vielmehr für einen wirkungsvollen Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern geeignet sein.(26) Die bisher von mir geschilderten Einschränkungen ergaben sich nicht ausdrücklich aus dem Gesetz sondern wurden von der Rechtsprechung im Laufe der Jahre entwickelt.  Anders liegt die Sache bei dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG). In § 3 a Satz 4 dieses Gesetzes wird der Verwaltung nämlich eine Einschätzungsprärogative eingeräumt, indem dem Gericht ausdrücklich eine umfassende Prüfung untersagt wird. Der Fall betrifft das Fehlen einer möglicherweise erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Regelung des Gesetzes lautet: Beruht die Feststellung, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterbleiben soll, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c (das sind die Fälle der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung, weil die Anlage erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann bzw. solche zu erwarten sind), ist die Einschätzung der zuständigen Behörde in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens nur darauf zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3c durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist. Diese Vorschrift verdeutlicht, daß der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgeht, daß eine Prognoseentscheidung ohne einen Einschätzungsspielraum in sich widersprüchlich wäre(28) und daher der Planfeststellungsbehörde für ihre prognostische Beurteilung möglicher Umweltauswirkungen des Vorhabens ein Einschätzungsspielraum zusteht und folglich dem Gericht nur eine Art Plausibilitätskontrolle verbleibt, bei der nachträglich gewonnene Erkenntnisse nicht maßgeblich sind. Es bleiben dem Richter bei der Plausibilitätskontrolle typischerweise folgende Fragen: Reichte der Erkenntnisstand der Behörde aus, um erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen auszuschließen? War aufgrund besonderer Umstände besondere Vorsicht angebracht, so daß auch entfernte Risiken ernst genommen werden mußten?(29) Mit der soeben besprochenen Vorschrift des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung endet meine Darstellung der umweltspezifischen Einschränkungen(30) der gerichtlichen Überprüfung des Handelns der Behörden aus rechtlichen Gründen. In einigen Sonderfällen kann es daneben zu einer faktischen Einschränkung der Überprüfung kommen. Wartet ein Kläger einen Akt der Verwaltung mit Außenwirkung ab und erhebt er dann Klage,  ist die Behörde grundsätzlich verpflichtet, sämtliche Verwaltungsvorgänge, die einen gerichtlichen Fall betreffen, im Original dem erkennenden Gericht zur Überprüfung vorzulegen.(33) Alle Verfahrensbeteiligten dürfen dann ohne Einschränkung  in die vorgelegten Akten der Behörde Einsicht nehmen. Während allerdings der Vorsitzende in einem Verfahren vor den Sozialgerichten aus besonderen Gründen die Einsicht in Akten oder in Aktenteile versagen oder beschränken kann(31), darf das Verwaltungsgericht grundsätzlich keine Behördenakte zurückhalten(32). Jeder Verfahrensbeteiligte darf vielmehr grundsätzlich in alle Akten sehen. Dabei stellt sich im Umweltrecht, insbesondere bei atomaren oder chemischen Anlagen nicht selten die Frage, ob es – etwa vor dem Hintergrund der Gefahr eines Terroranschlags auf die Anlage – hingenommen werden kann, daß die Verwaltungsvorgänge, etwa über Sicherheitsvorkehrungen der Anlagen, von den Verfahrensbeteiligten eingesehen werden und so an die Öffentlichkeit gelangen können. Nach der Verwaltungsgerichtsordnung, der Prozeßordnung der allgemeinen Verwaltungsgerichte, ist es ausnahmsweise zulässig, daß eine verklagte Behörde die Vorlage der Verwaltungsvorgänge an das Gericht verweigert, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge geheim gehalten werden müssen.(34)  In einem solchen Fall und wenn das erkennende Gericht davon ausgeht, daß der Inhalt der nicht vorgelegten Verwaltungsvorgänge entscheidungserheblich sei, kommt es zu einem sog. in-camera-Verfahren(34). Dabei handelt es sich um ein Zwischenverfahren, in dem es nur um die Frage geht, ob die Behörde dem Hauptsachengericht zu Recht die Akten nicht vorlegt. Die Verwaltungsvorgänge werden sodann nicht dem in der Hauptsache erkennenden Gericht sondern dem für dieses Zwischenverfahren zuständigen Gericht vorgelegt, welches ausschließlich prüft, ob die Behörde zu Recht die Akten dem erkennenden Gericht nicht vorgelegt hat. Das Ergebnis dieses in-camera-Verfahrens kann nun sein, daß die Verwaltungsvorgänge dem erkennenden Gericht nicht vorgelegt werden, so daß das mit der Sache selbst befasste Gericht ohne die vorenthaltenen Verwaltungsvorgänge nach sogenannten materiellen Beweislastregeln entscheiden muß. Das ist ein sehr starker Eingriff in den Umfang der Überprüfungsmasse des dem Amtsermittlungsgrundsatz(35) verpflichteten Verwaltungsrichters. Amtsermittlung bedeutet nämlich, daß das Gericht nicht an den Vortrag der Verfahrensbeteiligten gebunden ist, sondern den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt, wobei primär die Verwaltungsvorgänge der Behörde herangezogen werden. Da bei Anfechtungsklagen gegen Anlagengenehmigungen regelmäßig der Kläger die materielle Beweislast trägt, sinken durch die Zurückhaltung der Verwaltungsvorgänge möglicherweise dessen Erfolgschancen. Ein Beispiel: In einer Klage eines sich vor einem Terroranschlag auf ein bestimmtes Atomkraftwerk ängstigenden Bürgers auf Widerruf der dem Atomkraftwerk zugrundeliegenden Betriebsgenehmigungen, hilfsweise auf Erteilung nachträglicher Auflagen zum Schutz gegen Terroranschläge, verweigerte die beklagte Behörde dem Gericht die Vorlage der die Schutzkonzepte und Schutzmaßnahmen enthaltenden Akten, mithin die Prüfungsgrundlage. Das Bundesverwaltungsgericht (36) hat in einem daraufhin angestrengten in-camera-Verfahren ausgeführt, daß die Vorlage an das erkennende Gericht von der Behörde zu Recht verweigert worden sei. Seine Entscheidung hat es im wesentlichen damit begründet, daß die weitreichenden Folgen für Leben, Gesundheit und Sachgüter, die aus einem durch einen Anschlag auf ein Kernkraftwerk herbeigeführten Störfall angesichts der Gefahren der Kernenergie ein gewichtiges öffentliches Geheimhaltungsinteresse begründeten, das die Zurückhaltung von Informationen über Schutzkonzepte und Schutzmaßnahmen von atomrechtlichen Anlagen zu rechtfertigen vermöge. Die Frage, wie das Gericht der Hauptsache ohne diese Akten entschieden hat, kann ich nicht beantworten. Ich habe dazu keine Veröffentlichung gefunden. Das könnte daran liegen, daß sich der Rechtsstreit in der Hauptsache wegen des deutschen Atom-Ausstiegs nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima erledigt hat. ———————————————————————————————————- 1) Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz 2) Neues Verständnis der Technikklauseln und ihr Verhältnis zu technischen Normen, Oliver Völkel, Wien 2009, Randnummern 116 ff m. w. N. 3) § 60 Abs. 1 WHG 4) § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG 5) § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG 6) Michael Kloepfer, Umweltschutzrecht, 1. Auflage 2008, S. 47 7) Von diesem Verein stammt die Technische Anleitung zur Standsicherheit von Grabmalen. 8) OVG Lüneburg, Urteil vom 6. Juni 1998 – 7 L 4554/96, 7 L 4622/96 – 9) BVerwG, Beschluß vom 7. Mai 2007 – 4 B 5.07 – 10) Bamberger in: Wysk, Verwaltungsgerichtsordnung, 1. Auflage 2011, § 86 Rn. 34 11) § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der jeweiligen Satzung 12) Ladeur, DÖV 2000, S. 224 hält den Kritikern entgegen, daß selbst in England, wo die Parlamentssouveränität mangels geschriebener Verfassung eine zentralerer Stellung als in Deutschland einnehme, die Verwaltung implizit zur Entwicklung von “good administrative practices” ermächtigt und der rechtsgestaltende Charakter solcher Regeln unbestritten sei. 13) BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1978 – 1 C 102.76 – 14) BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1985 – 7 C 65/82 – 15) BVerwG, Beschlüsse vom 10. Januar 1995 – 7 B 112.94 – und vom 21. März 1996 – 7 B 164/95 -, jeweils zur TA Luft 16) §§ 48, 51 BImSchG 17) (BImSchG) auf der Grundlage des § 48 BImSchG 18) VGH BW, Urteil vom 20. Juli 2011 – 10 S 2102/09 – 19) Sparwasser, Engel, Voßkuhle, Umweltrecht: Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrecht, 5. Auflage 2003, § 5 Rn. 45 20) BVerwG, Urteil vom 25. November 2004 – 5 CN 1/03 – worin u. a. ausgeführt wird, daß in dem Rechtsstaatsprinzip sowie der Garantie effektiven Rechtsschutzes eine Publikationspflicht für Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Außenwirkung für Dritte begründet sei. 21) § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO 22) BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 – 7 C 15/98 – 23) § 3 BImSchG 24) In diesem Zusammenhang spielt es außerdem eine Rolle, daß der N sich nicht auf die Grenzwerte der TA Lärm stützen kann, soweit diese nicht nur seinem Schutz sondern auch der Vorsorge dienen, weil es anerkannt ist, daß die Vorsorge keinen drittschützenden Charakter hat. 25) M. Schulte, R. Schröder, Handbuch des Technikrechts, 2. Auflage 2010, S. 253 26) BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 7 C 1.11 – 27) z. B. bei einer Prüfung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG, des § 7 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG 28) Vgl. hierzu den allgemein anerkannten Satz, wonach eine Planungsentscheidung ohne einen Planungsspielraum ein Widerspruch in sich selbst sei. 29) BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 – 9 A 31.10 – 30) Beitrag in der anschließenden Diskussion: Neben den in meinem Vortrag dargestellten Einschränkungen der richterlichen Überprüfungsmacht, gibt es solche, die nicht spezifisch für technisch geprägte Behördenentscheidungen im Umweltrecht gelten, sondern ganz allgemein das deutsche Verwaltungsrecht prägen, und deshalb auch, aber nicht vornehmlich oder gar ausschließlich, im Umweltrecht zu berücksichtigen sind. Hier sind zunächst die sog. Drittanfechtungen zu nennen. Drittanfechtungen sind Klagen, die von einem Dritten, beispielsweise einem Nachbarn einer störenden Anlage, erhoben werden. Eine derartige Drittanfechtung liegt etwa vor, wenn ein Milchbauer gegen eine Betriebsgenehmigung für ein atomares Zwischenlager neben seiner Kuhweide klagt. Für eine derartige Drittanfechtung bestimmt die Verwaltungsgerichtsordnung, daß sie nur dann Erfolg hat, wenn die angefochtene Genehmigung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen eigenen Rechten verletzt ist ( § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht prüft deshalb in einem solchen Fall nicht die objektive Rechtmäßigkeit in vollem Umfange wie bei einer Verpflichtungsklage auf Erteilung der Genehmigung sondern nur, ob subjektive Rechte des Klägers verletzt werden. Vorschriften, die ausschließlich im öffentlichen Interesse, also im Interesse der Allgemeinheit, erlassen werden, vermitteln keine subjektiven Rechte eines einzelnen Bürgers. Dafür sind vielmehr sogenannte drittschützende Normen erforderlich. Die Fragen, ob eine Norm drittschützend ist und wer von ihrem Drittschutz erfasst ist, sind im Einzelfall nicht selten höchst streitig. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der Umstand, daß ein Verstoß gegen eine maßgebliche Vorschrift erhebliche Nachteile für den Dritten hat, die nämliche Vorschrift in Deutschland nicht automatisch zu einer drittschützenden Vorschrift macht. Hierzu ist darüber hinaus erforderlich, daß die maßgebliche Vorschrift den klagenden Dritten gerade vor Nachteilen dieser Art schützen soll. Der auf diese Weise ausgestaltete Rechtsschutz hat zur Folge, daß es durchaus objektiv rechtswidrige Anlagen gibt, gegen die niemand erfolgreich klagen kann, weil die Anlage niemanden in seinem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt. Im Bereich des Umweltrechts ist diese Rechtssituation dadurch abgemildert worden, daß die Gesetzgeber in jüngerer Zeit bestimmten Naturschutzverbänden in bestimmten Fällen Klagerechte eingeräumt haben, die keine Verletzung in eigenen Rechten voraussetzen. Eine weitere, ebenfalls nicht spezifisch dem technischen Umweltrecht zuzurechnende sondern allgemeine Einschränkung des Überprüfungsumfangs existiert bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung. Ermessen ist – wie oben bereits dargestellt – ein Aspekt der Rechtsfolgenseite einer Vorschrift, betrifft also die Frage, ob eine Behörde bei Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift eine bestimmte Entscheidung treffen muss oder kann. Ermessen hat eine Behörde dann, wenn ihr, trotz Vorliegens aller tatbestandlichen Voraussetzungen einer Rechtsnorm, Spielraum für eine eigene Entscheidung verbleibt. Ob eine Rechtsnorm eine gebundene Entscheidung vorsieht oder der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt, lässt sich im Regelfall an der Formulierung des Gesetzes selbst festmachen. In einigen Fällen räumt das Gesetz ausdrücklich „Ermessen“ ein. Üblicher sind dagegen Formulierungen wie „kann“, „darf“, „ist berechtigt“ oder „ist befugt“. Bei gebundenen Entscheidungen hingegen werden Formulierungen wie „ist“ oder „muss“ verwendet. Hat eine Behörde aufgrund einer Ermessensnorm eine Entscheidung getroffen, darf das Gericht nicht eigene Ermessenserwägungen an die Stelle der Behörde setzten. Es darf die Entscheidung der Behörde auf der Rechtsfolgenseite nach der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 114 Satz 1 VwGO) nur auf sogenannte Ermessensfehler überprüfen. Typische Fragen des Richters bei seiner Prüfung lauten danach: Hat die Behörde überhaupt erkannt, daß sie Ermessen hat? Hat die Behörde die Grenzen des Ermessens eingehalten? Hat sie in richtiger Weise von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht? Vor einigen Jahren hat der Gesetzgeber folgenden zweiten Satz in § 114 VwGO hinzugefügt: Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Bei der Beantwortung der gerade gestellten Fragen ist deshalb auch der Vortrag der Behörde im Klageverfahren zu berücksichtigen. Bei der Überprüfung auf Ermessensfehler binden den Richter grundsätzlich weder sogenannte ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften, noch die Verwaltungspraxis der Behörde, weil den selbst gegebenen Vorschriften der Verwaltung und der Praxis der Verwaltung grundsätzlich keine Außenwirkung zukommen. Eine solche Außenwirkung ist lediglich in Ausnahmefällen über den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung, der eine gleichmäßige Anwendung gebietet, möglich. Allgemein einer gerichtlichen Überprüfung gänzlich entzogen sind des Weiteren bloß vorbereitende Entscheidungen der Verwaltung, denen noch keine unmittelbaren Außenwirkungen zukommen. In solchen Fällen liegen Rechtsverletzungen im Sinne der Verfassung nicht vor. Hier sind im Bereich des Umweltrechts etwa zu nennen die Entscheidung über die Trassenführung einer Fernstraße oder die bloße Meldung eines sogenannten FFH-Gebiets, also eines Schutzgebietes nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Der Kläger muß in derartigen Fällen die spätere Behördenentscheidung, die Außenwirkung entfaltet, abwarten. Bezüglich der Fernstraße muß der Kläger eine Entscheidung der Behörde, einen sogenannten Planfeststellungsbeschluß abwarten. In diesem wird unter Bürgerbeteiligung die Zulässigkeit des Vorhabens festgestellt. Bezüglich des FFH-Gebiets muß er dessen Ausweisung bzw. ein sich daraus ergebendes Gebot oder Verbot abwarten, bevor er Klage erheben kann. Schließlich muß allgemein bei Einschränkungen der richterlichen Überprüfungsmacht die Umstellung auf die sogenannte elektronische Behördenakte erwähnt werden, weil mit der elektronischen Akte eine faktische Einschränkung einhergehen kann. Den Behörden wird bei der elektronischen Aktenführung nämlich nicht die Verwendung besonderer technischer Vorkehrungen vorgeschrieben, die die Vollständigkeit der elektronischen Akte sichern und Veränderungen der Akte – beispielsweise ab einem bestimmten Zeitpunkt – dokumentieren. Zur Zeit finden derartige Vorkehrungen auch freiwillig keine Verwendung. Dies hat zur Folge, daß bei der vollständigen Umstellung der analogen auf die digitale Aktenführung nicht sichergestellt werden kann, daß dem Verwaltungsgericht ein vollständiger Verwaltungsvorgang vorgelegt wird. So werden z. B. die Seiten des Verwaltungsvorgangs des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, welches ein Vorreiter bei der Umstellung auf die elektronische Akte ist, erst bei dem Ausdruck zum Zwecke der Versendung an das Verwaltungsgericht mit Blattzahlen versehen. Da die aktuell anzutreffende digitale Aktenführung zudem eine blitzschnelle Durchsuchung auch sehr umfangreicher Akten nach Stichwörtern erlaubt und Aktenveränderungen nicht sichtbar macht, ist zu befürchten, daß das Verwaltungsgericht – zumindest in Einzelfällen – auf der Grundlage unvollständiger und/oder nachträglich veränderter Verwaltungsvorgängen entscheidet. 31) § 120 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) 32) § 100 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) 33) § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO 34) § 99 Abs. 2 VwGO: “Auf Antrag eines Beteiligten stellt das Oberverwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten, der Übermittlung der elektronischen Dokumente oder der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist. Verweigert eine oberste Bundesbehörde die Vorlage, Übermittlung oder Auskunft mit der Begründung, das Bekanntwerden des Inhalts der Urkunden, der Akten, der elektronischen Dokumente oder der Auskünfte würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht; Gleiches gilt, wenn das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 für die Hauptsache zuständig ist. Der Antrag ist bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen. Dieses gibt den Antrag und die Hauptsacheakten an den nach § 189 zuständigen Spruchkörper ab. Die oberste Aufsichtsbehörde hat die nach Absatz 1 Satz 2 verweigerten Urkunden oder Akten auf Aufforderung dieses Spruchkörpers vorzulegen, die elektronischen Dokumente zu übermitteln oder die verweigerten Auskünfte zu erteilen. Sie ist zu diesem Verfahren beizuladen. Das Verfahren unterliegt den Vorschriften des materiellen Geheimschutzes. Können diese nicht eingehalten werden oder macht die zuständige Aufsichtsbehörde geltend, dass besondere Gründe der Geheimhaltung oder des Geheimschutzes der Übergabe der Urkunden oder Akten oder der Übermittlung der elektronischen Dokumente an das Gericht entgegenstehen, wird die Vorlage oder Übermittlung nach Satz 5 dadurch bewirkt, dass die Urkunden, Akten oder elektronischen Dokumente dem Gericht in von der obersten Aufsichtsbehörde bestimmten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Für die nach Satz 5 vorgelegten Akten, elektronischen Dokumente und für die gemäß Satz 8 geltend gemachten besonderen Gründe gilt § 100 nicht. Die Mitglieder des Gerichts sind zur Geheimhaltung verpflichtet; die Entscheidungsgründe dürfen Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente und Auskünfte nicht erkennen lassen. Für das nichtrichterliche Personal gelten die Regelungen des personellen Geheimschutzes. Soweit nicht das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, kann der Beschluss selbständig mit der Beschwerde angefochten werden. Über die Beschwerde gegen den Beschluss eines Oberverwaltungsgerichts entscheidet das Bundesverwaltungsgericht. Für das Beschwerdeverfahren gelten die Sätze 4 bis 11 sinngemäß.” Das in-camera-Verfahren kann in Verbindung mit den Akteneinsichtsgesetzen eine Rechtsschutzlücke aufreißen, weil es einen anderen Maßstab für die Prüfung der Akteneinsicht anlegt als die Akteneinsichtsgesetze. Dies kann faktisch dazu führen, daß Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie personenbezogene Daten über eine Akteneinsicht nach § 100 VwGO preisgegeben werden, wenn mit der Aktenvorlage die Geheimhaltungsgründe des in-camera-Verfahrens nicht greifen. 35) § 86 Abs. 1 VwGO 36) BVerwG, Beschluß vom 20. September 2010 – 20 F 7.10 –  

Die G-GmbH beantragte mit vollständigen und prüffähigen Unterlagen die Genehmigung für eine nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlage zur Reinigung kontaminierter Böden. Bei der geplanten Anlage soll eine deutsche Filtertechnik zum Einsatz kommen. Nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens versagte die Behörde B die Genehmigung, weil die G-GmbH eine von der Behörde favoritisierte schwedische Abgasfiltertechnik nicht einsetzen wolle, die – was zutreffend ist – die anfallenden Immissionen noch mehr verringerte.

Daraufhin hat die G-GmbH eine zulässige Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erhoben. Dieses hat ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches zu dem Ergebnis kommt, daß die geplante Anlage alle immissionsbezogenen Grenzwerte der TA Luft und TA Lärm einhalte und die deutsche Filtertechnik dem Stand der Technik entspreche. Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?

Auszug aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz:

§ 5 Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen

(1) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt

1. schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können;

2. Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen;

Nach § 6 desselben Gesetzes ist die Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, daß die sich aus § 5 ergebenden Pflichten erfüllt werden.

Der Kläger betreibt auf seinem Wohngrundstück im Außenbereich eine Kleinkläranlage in Form einer Mehrkammerausfaulgrube mit anschließender Untergrundverrieselung. Die für die Gewässeraufsicht zuständige beklagte Behörde hatte dem Kläger 1980 eine wasserrechtliche Erlaubnis zur Einleitung seines durch diese Kleinkläranlage gereinigten häuslichen Abwassers in ein angrenzendes Gewässer erteilt und die Kleinkläranlage abgenommen. Bedeutsame Investitionen in die Anlage wurden seither nicht getätigt. Anlässlich eines Ortstermins im Jahre 2010 stellte ein Mitarbeiter der Behörde fest, dass die Kleinkläranlage zwar grundsätzlich ausreichend bemessen sei, zumal der Kläger das Haus alleine bewohne. Die vorhandene Verrieselung (ca. 30 m) sei aber nicht mehr zeitgemäß. Sie könne durch einen 24 m Filtergraben oder ein 20 qm großes Wurzelbeet ersetzt werden. Nach Anhörung gab die Behörde dem Kläger durch Bescheid auf, die Kläranlage zu sanieren. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass sich mit der Änderung der Abwasserverordnung und der Neufassung der DIN 4261 Teil 1 die Anforderungen an Kleinkläranlagen geändert hätten. Zum Schutz von Wasser und Grundwasser müsse eine zeitgemäße biologische Reinigungsstufe eingebaut werden.

Nach erfolglosem Widerspruch hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, daß die Sanierungsanordnung seinen Bestands- und Vertrauensschutz verletze.

Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?

Die im Jahre 2002 von dem Verein Deutscher Ingenieure e. V. aufgestellte DIN 4261 Teil 1 sieht für Kleinkläranlagen bestimmte biologische Reinigungsstufen vor, allerdings keine „Untergrundverrieselung“ als alleinige biologische Reinigungsstufe.

Nach dem  Wasserhaushaltsgesetz dürfen Abwasseranlagen nur nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet, betrieben und unterhalten werden. In seinem § 100 sieht dasselbe Gesetz zugunsten der zuständigen Behörden eine Ermächtigung zum Erlaß von Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen vor, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen; bereits erteilte Zulassungen sind zu überprüfen und, soweit erforderlich, anzupassen.

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